Justizministerin Wahlmann kritisiert Misstrauen durch geplante Tonaufzeichnungen

„Ausdruck eines durch nichts gerechtfertigten Misstrauens gegenüber unseren Richterinnen und Richtern“ Niedersächsische Justizministerin Dr. Kathrin Wahlmann zum Stopp des Gesetzes zur Dokumentation der strafrechtlichen Hauptverhandlung im Bund

Der Bundesrat hat am Freitag letzter Woche vorläufig das vom Bundestag im November beschlossene Gesetz zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung (Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz – DokHVG) gestoppt und in den Vermittlungsausschuss überwiesen. Das vom Bundestag beschlossene DokHVG sieht vor, von allen Hauptverhandlungen vor den großen Strafkammern der Landgerichte eine Tonaufzeichnung zu erstellen. Diese soll automatisiert in Text übersetzt werden und eine Art Wortprotokoll bilden. Ein solches Wortprotokoll kennt die Strafprozessordnung für Hauptverhandlungen vor dem Landgericht bisher ausdrücklich nicht. Stattdessen würdigt das Gericht die erhobenen Beweise, also zum Beispiel die Aussagen der Zeugen, unmittelbar in den Urteilsgründen.

Niedersachsen hat sich gemeinsam mit anderen Bundesländern im Bundesrat gegen das DokHVG ausgesprochen und die Überweisung in den Vermittlungsausschuss erreicht. Niedersachsens Justizministerin Dr. Kathrin Wahlmann erläutert die Hintergründe: „Der aktuelle Entwurf des DokHVG geht an der gerichtlichen Realität vorbei und ignoriert die einhellige Kritik von Gerichten und Staatsanwaltschaften an dem Vorhaben. Das bisherige System hat sich vielfach bewährt. Es stellt sicher, dass das Urteil tatsächlich auf dem Inbegriff der Hauptverhandlung beruht und nicht auf einer späteren Auswertung von Tonbändern. Welchen praktischen Nutzen die Tonaufzeichnung hätte, kann dagegen niemand überzeugend erklären. Erstinstanzliche Urteile des Landgerichts werden vom Bundesgerichtshof in zweiter Instanz ausschließlich auf Rechtsfehler überprüft. Auch dazu braucht es die Tonaufzeichnung nicht.“

Bei ihrer Kritik geht es Justizministerin Dr. Kathrin Wahlmann vor allem auch um die Kolleginnen und Kollegen an den Gerichten vor Ort: „Das DokHVG sendet eine Botschaft des Misstrauens. Offenbar meint man in Berlin, dass unsere Richterinnen und Richter nicht in der Lage seien, einer Verhandlung zu folgen und die Ergebnisse in ihrem Urteil korrekt widerzuspiegeln. Das ist ein Schlag ins Gesicht derjenigen, die mit größtem Einsatz Tag für Tag den Begriff Rechtsstaat mit Leben füllen.“ Mit Blick auf die vorgesehene Transkription fügt die Justizministerin hinzu: „Wir alle wollen effiziente und schlanke Strafverfahren. Das DokHVG und besonders die Pflicht zur Transkription werden das Gegenteil bewirken. Die nebulös angekündigte ‚Automatisierung‘ der Transkription ist reines Wunschdenken. Wer häufiger mit Spracherkennungssoftware arbeitet, kennt deren Grenzen allzu gut. Ich sehe eine große Gefahr, dass unsere oft heute schon enorm aufwändigen Strafverfahren durch das Warten auf eine händische Transkription und die anschließenden Diskussionen über deren Richtigkeit zu einem untragbaren bürokratischen Aufwand führt.“

Auch zu dem von Befürwortern des DokHVG geäußerten Argument, eine Tonaufzeichnung sei in vielen europäischen Ländern üblich, hat Niedersachsens Justizministerin eine klare Meinung: „Der Verweis auf andere Länder vergleicht Äpfel mit Birnen. Jedes Strafrechtssystem ist anders. Viele Länder kennen zum Beispiel keinen so ausgeprägten Mündlichkeitsgrundsatz wie Deutschland. Die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung ist dort also viel weniger umfangreich. Wir haben in Deutschland ein gut funktionierendes System, das alle rechtsstaatlichen Anforderungen mehr als erfüllt. Um das mit einem Federstrich über den Haufen zu werfen, genügt mir das Pauschalargument ‚woanders wird es auch so gemacht‘ nicht.“

Mit Blick auf das Vermittlungsverfahren formuliert Dr. Kathrin Wahlmann ihre Erwartungen abschließend so: „Ich hoffe, dass wir zu einer vernünftigen und vor allem praktikablen Lösung kommen. Falls es überhaupt eine Aufzeichnung geben muss, darf diese jedenfalls nicht zu einer Verzögerung und Aufblähung der Verfahren führen. Auch über die Kostentragung für die nötige technische Ausstattung für die Aufzeichnung wird gegebenenfalls zu sprechen sein.

Quelle: Nds. Justizministerium / 22.12.2023